Donnerstag, 31. Mai 2012

Damals, achtzehnsechzig...

Ich mag es ja nicht, wenn Leute behaupten, dass früher alles besser war. Trotzdem kann ich nicht umhin, gewisse Vergleiche zwischen damals und heute anzustellen.

Als ich vor gefühlten hundert Jahren in die erste Klasse ging, da lernten wir gleich mit Füller schreiben. Einige wenige beneidete Persönlichkeiten mit Westverwandtschaft waren glückliche Tintenkillerbesitzer und konnten Fehler recht einfach korrigieren. Alle anderen durften das Wort halt durchstreichen und nochmal schreiben. 

Kopierer gab es damals nicht, und Papier war in der DDR auch nicht grade ein Überschussprodukt, daher machte man seine Schreibübungen in kleine A-5-Heftchen. Ich weiss nicht, ob wir in der ersten Klasse überhaupt Hausaufgaben hatten, aber auf jeden Fall waren das Wochenende und die Ferien frei davon. 

Unsere Fibel handelte unter anderem von dem tapferen Grenzsoldaten, der die bösen Kapitalisten von uns fernhält. Die ersten ganzen Worte, die wir schrieben, waren "Seid bereit".

Heute schreiben die Kinder mit Bleistiften, was zumindest bei Töchterchen dazu führt, dass sie wie besessen radiert. Und anspitzt. Man glaubt es kaum, wie schnell so ein Bleistift kinderdaumenkurz werden kann. Eher glaubhaft ist, wie lange es dauern kann, eine Seite zu schreiben, wenn im Schnitt jeder zweite Buchstabe ausradiert und neu geschrieben wird. Nicht weil er falsch war - er war nur nicht perfekt.

Die Arbeitshefte sind wirklich schön, sehr kindgerecht, die Geschichten sind bunt und lustig und handeln von Tieren und Kindern. Viele Übungen darin sind gut gemacht, zum Beispiel als Silbenrätsel getarnt.

Aber das reicht offensichtlich nicht. Die heutige Schule hat kein Interesse daran, Bäume zu erhalten. Zusätzlich zu den 4 Deutsch und 2 Mathe Arbeitsheften werden fleissig eigene Vorlagen erstellt und vervielfältigt. Es ist nicht einfach, über die Masse an losen Blättern den Überblick zu behalten. Vor allem, da man heute nicht mehr von einem Tag auf den nächsten Hausaufgaben aufbekommt, sondern die Erstklässler bereits lernen sollen, sich die Arbeit über die Woche einzuteilen. Soweit ich das sehe, ist die einzige, die dazu erzogen wird, die Mama.

Nein, das ist nicht das Bürgerliche Gesetzbuch.

Es ist auch kein Ordner aus meiner Studentenzeit (vor gefühlten fünfzig Jahren).

Dies ist der Ordner, der Töchterchens Hausaufgaben von September bis März enthält - wohlgemerkt, die erste Klasse. Die oben genannten Arbeitshefte kommen natürlich extra.
Offensichtlich lässt sich diese Menge Papier in der normalen Nachmittagszeit nicht mehr schaffen. Daher sind heute Wochenende und Ferien nicht mehr herrlich frei, sondern werden von der Schule freudig als zusätzliche Arbeitszeiten wahrgenommen. Falls man als Eltern seine Hausaufgaben-Antreib-Pflicht vernachlässigt und etwa am Wochenende mal mit der Familie wegfährt, darf man zwar dem Kind eine Entschuldigung schreiben. Das führt aber nur dazu, dass das Kind dann in der Woche drauf die alten Hausaufgaben zusätzlich zu den neuen machen darf.

Und was bringt das alles? 

Töchterchens anfängliche Schul-Begeisterung ist komplett verflogen. Hausaufgaben, die sie zu Beginn gern und ganz selbständig gemacht hat, gehen jetzt nur noch unter Druck. Konkret heisst das, eine erwachsene Person muss neben ihr sitzen und sie antreiben. "Jetzt noch ein Wort. Jetzt das nächste." Aufgaben werden nach Schema-F erledigt, für selbst-denken fehlt die Zeit und Kraft. 

Und das in der ersten Klasse. Das kann ja heiter werden. Seid Bereit!


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